- Literaturnobelpreis 1929: Thomas Mann
- Literaturnobelpreis 1929: Thomas MannDer deutsche Schriftsteller wurde geehrt für den Roman »Buddenbrooks«, der im Lauf der Jahre immer größere Anerkennung als klassisches Werk der zeitgenössischen Literatur gewonnen hat.Thomas Mann, * Lübeck 6. 6. 1875, ✝ Zürich 12. 8. 1955; 1895-96 Studium an der Technischen Hochschule München, 1898-1906 Redakteur des »Simplicissimus«, 1901 »Buddenbrooks«, Verfall einer Familie, in 2 Bänden, 1912 »Der Tod in Venedig«, 1924 »Der Zauberberg«, 1933 Emigration, 1938 Übersiedlung in die USA, 1952 Rückkehr nach Europa, Niederlassung in der Schweiz.Würdigung der preisgekrönten LeistungMit den Worten »Was ist das. — Was — ist das«. .. »Je, den Düwel ook, c'est la question, ma très chère demoiselle!«, gesprochen im engsten Kreis einer Lübecker Kaufmannsfamilie im 19. Jahrhundert, beginnt der wohl berühmteste Roman der modernen deutschen Literatur. Thomas Manns Erzählung »Buddenbrooks« erschien erstmals 1901, bis heute sind weit über vier Millionen Exemplare gedruckt und verkauft worden. Dem Roman verdankt sein Autor den Weltruhm als epischer Dichter und 1929 den Nobelpreis für Literatur als Gipfel dieses Ruhmes. In der Verleihungsrede hob Fredrik Böök, Mitglied des Nobelkomitees für Literatur, »Buddenbrooks« besonders hervor.Viermal DeutschlandDer weltweit anerkannte Epiker aus Lübeck hat im vergangenen Jahrhundert nicht nur das Kaiserreich Wilhelms II. und die Republik nach 1918, sondern ebenso die Herrschaft der Nationalsozialisten sowie schließlich auch das Nachkriegsdeutschland kritisch begleitet und gedeutet. Der im Unterschied zu seinem älteren Bruder Heinrich Mann zunächst politisch eher zurückhaltende Schriftsteller engagierte sich nach der 1933 erfolgten Emigration aus Nazi-Deutschland nachhaltig für eine antifaschistische Politik. 1936 erlangte Thomas Mann die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft und siedelte 1938 nach Amerika über, wo er und seine Ehefrau Katia 1944 amerikanische Staatsbürger wurden. Seit 1937 entfaltete Mann eine rege politische Publizistik. So etwa sprach er von 1940 bis 1945 über BBC London monatlich eine Radiobotschaft unter dem Titel »Deutsche Hörer!« nach Deutschland hinein. Bis zum Kriegsende bezog er mit teils scharfen polemischen Worten immer wieder öffentlich Stellung gegen den Nationalsozialismus. »Wo ich bin, ist Deutschland«, setzte Mann 1938 trotzig dem damals vorherrschenden Eindruck entgegen, Deutschland sei da, wo Hitler ist. Wenige Tage vor Kriegsende, am 4. Mai 1945, notierte Thomas Mann in sein Tagebuch über die Deutschen: »Nein, es ist kein großes Volk«, und stellte drei Tage später enttäuscht fest: »Bis jetzt fehlt es an jeder Verleugnung des Nazitums.« Erst auf der zweiten Nachkriegseuropareise kam Mann wieder nach Deutschland. 1949 hielt er in Frankfurt, München und Weimar Ansprachen und Vorträge zum Goethejahr. Die endgültige Rückkehr nach Europa führte ihn allerdings nicht nach Deutschland, sondern 1952 in die Schweiz, nach Erlenbach bei Zürich. Auf beiden Seiten des geteilten Deutschlands galt Mann jetzt als der Bewahrer klassischer deutscher Kulturtraditionen. Am 14. Mai 1955 begrüßte ihn das Nationaltheater Weimar mit den Worten: »Der deutsche Dichter unseres Jahrhunderts sind Sie vor allem darum, weil in Ihrem Werk die klassische Tradition bewahrt ist in einem schöpferischen Sinn.« Im Mai 1955 besuchte Mann erneut auch Lübeck. Damit kehrte er noch einmal in die Stadt seiner Geburt und die Heimat der Buddenbrooks zurück.Buddenbrooks — eine Sozialgeschichte des Bürgertums»Rom Ende Oktober 1897«, so lautet die Datumsangabe zu Beginn der ersten Seite der »Buddenbrooks«-Handschrift von Thomas Mann. Zuvor hatte im Mai der Verleger Samuel Fischer dem norddeutschen Schriftsteller angeboten, ein »größeres Prosawerk« zu veröffentlichen, »vielleicht einen Roman, wenn er nicht zu lang ist.« Das Werk, ursprünglich als Novelle geplant, aber unter den Händen des Autors explodiert, war als Manuskript erst um die Mitte des Jahres 1900 abgeschlossen und verließ im darauf folgenden Jahr die Druckerpresse. Es galt in den Augen seines Verfassers als repräsentative »Seelengeschichte des deutschen Bürgertums, von der nicht nur dieses selbst, sondern auch das europäische Bürgertum überhaupt sich angesprochen fühlen konnte.«»Verfall einer Familie« nennt der Untertitel des Romans die über vier Generationen angelegte Geschichte einer Kaufmannsfamilie aus Lübeck zwischen 1835 und 1877. Das tatenfrohe und unbekümmerte Selbstbewusstsein des Urgroßvaters Johann Buddenbrook kann dessen Sohn, Konsul Johann Buddenbrook, nicht mehr in geschäftlichen Erfolg ummünzen. In den Schicksalen seiner vier Kinder setzt sich der Auflösungsprozess fort. Die Familienmitglieder wenden sich vorrangig einem künstlerischen Leben zu. Nur noch Thomas Buddenbrook ist unter äußerster Anstrengung in der Lage, das Erbe zu übernehmen. Sein Sohn Hanno dagegen wird zum Inbegriff des sensiblen und lebensfremden Künstlers. Damit ist das letzte Stadium eines Prozesses erreicht, in dem die Buddenbrooks an kulturellem Bewusstsein gewinnen, zugleich an ökonomischer Vitalität verlieren.Der Untergang der Buddenbrooks ist jedoch nicht in einem kulturpessimistischen Sinn zu verstehen. Verfall meint hier vielmehr Verfeinerung der geistigen und ästhetischen Empfindung. »Es ist die Lebensuntauglichkeit, welche das Leben steigert, denn sie ist dem Geist verbunden.« So Mann, der über die Wirkung seines Romans feststellte: »Ich hatte persönlich-familiäre Erfahrungen zum Roman stilisiert, mit der Empfindung zwar, dass etwas »Literarisches« [...] daran sei, aber doch ohne eigentliches Bewusstsein davon, dass ich, indem ich die Auflösung eines Bürgerhauses erzählte, von mehr Auflösung und Endzeit, einer weit größeren kulturell-sozialgeschichtlichen Zäsur gekündet hatte.« So wurde das Porträt einer Bürgerfamilie zur Sozialgeschichte des Bürgertums.Verdrängung, Bescheidenheit und SelbstironieAls Grundmotiv des literarischen Schaffens nennt Hermann Kurzke in seiner Thomas-Mann-Biografie von 1999 das Verdrängen und die Angst vor der Heimsuchung des Verdrängten. Thomas Buddenbrook verzichtet zugunsten der bürgerlichen Ordnung auf die wirkliche Liebe, sein Lebensglück zerbricht daran. In der Homoerotik, wie sie etwa in »Tod in Venedig« von 1912 zum Ausdruck kommt, sieht Kurzke indes die verdrängten Verführungen in Thomas Manns eigenem Leben, die ihn — wenn auch nicht als einzige Ursache — zu dieser großartigen Kulturleistung trieben: »Wir hätten dieses Werk nicht, hätte Thomas Mann seinen Leidenschaften für hübsche Kellnerburschen ungehemmten Lauf gelassen.« Sich selbst als Literat beurteilte Thomas Mann stets mit Bescheidenheit und ironischer Distanz. Letzteres zeigt beispielsweise seine Rede anlässlich der Nobelpreisverleihung von 1929: »Ich tue wohl daran, den Weltpreis. .. meinem Land und Volke zu Füßen zu legen, diesem Lande und Volk, mit dem meinesgleichen sich heute noch fester verbunden fühlt als zur Zeit seiner klirrendsten Machtentfaltung.«M. Kempe
Universal-Lexikon. 2012.